Im Licht der Dinge

Reflexionen über Wolfgang Eberls Blumenbilder

An der Wand über dem Sofa in Wolfgang Eberls Atelier hängt ein mittelformatiges Blumenbild von der Hand des Künstlers. Die ungewöhnliche Präsenz des Bildes rührt von der Unmittelbarkeit der Darstellung, der Klarheit der Formen und einer leuchtenden Farbigkeit, die in den Raum abstrahlt. Die Darstellungsweise ist ihrem Wesen nach streng naturalistisch, bei konzentrierter Betrachtung wird jedoch rasch ein das Gesamtgefüge durchwirkender, abstrahierender Ductus augenscheinlich, drängt gleichsam aus der Bildtiefe an die Oberfläche: Die Durchformung des vermeintlich Zufälligen wird als das eigentliche Thema der Darstellung erkennbar. Der Gestus ist affirmativ, die Blumen als organischer Bildgegenstand sind hier als Inbild einer Lebendigkeit dargestellt, die der Künstler uneingeschränkt bejaht. Dass diese Bejahung keine verhaltene, zögerliche ist, dass sie durch nichts relativiert wird, mag Wolfgang Eberls Blumenbilder manchem Betrachter im ersten Moment fremd und ungewohnt erscheinen lassen, dennoch ist gerade auch sie eine ihrer Stärken. "Er leuchtet im Lichte der Dinge." Wäre etwas Derartiges über einen Maler, zumal einen gegenständlichen Maler, gesagt, nicht ein schönes Lob?

Der Satz stammt aus Byung-Chul Hans komparativer Abhandlung "Philosophie des Zen-Buddhismus" und bezieht sich auf das "niemandige, selbstlose Selbst" desjenigen, der ein in Heideggerscher Diktion nicht-authentisches, uneigentliches Leben lebt, ein Leben jenseits des Ich-bin. Das Selbst eines solchen Menschen, so Han weiter, bestehe aus nichts mehr als aus "Spiegelungen der Dinge". Gemalt, gezeichnet und wieder gemalt worden zu sein, in der Stille eines Vormittags, adelt die Blumen, so scheint es, aber adelt es nicht auch den Maler, sie gemalt, gezeichnet und sich selbst darüber vergessen zu haben? Lässt man den Blick zwischen Vorbild und Abbild hin- und herwandern, so meint man, an beiden dieselbe Sorgfalt der Formfindung wahrzunehmen. Die Sorgfalt des Malers ist eine bewusst durch beharrliche Wiederholung eingeübte und verinnerlichte.

In der Wiederholung, dem wiederholten zeichnenden Beschreiben, das ein tastendes Suchen ist, eröffnet sich ihm die allem Lebendigen eingeschriebene Form, der der Mensch, wie Jean Bazaine es formulierte, "den Zusammenhang mit der Welt verdankt". Anderntags steht ein frischer Strauß Blumen auf dem Glastisch zwischen den weit geöffneten, den Blick in die atmosphärisch dichte Bläue des großstädtischen Frühlingsabends freigebenden Atelierfenstern und füllt den dämmrigen Raum mit seinem Duft. Es sind Schnittblumen vom Markt, in eine schlicht designte, kubische Glasvase gesteckt, die Stiele ins Wasser getaucht und durch die Brechung des Lichts dem Blick gleichsam ein Stück weit entzogen. Auf die Schönheit des Vergehens, das der eigenen Endlichkeit trotzende Aufblühen der Schnittblume konzentriert sich in der ganz dem Diesseitigen verhafteten japanischen Ästhetik, namentlich im Ikebana, das Interesse. Auch die Blumen auf Wolfgang Eberls Bildern sind ihrer Umgebung und Zeit nicht entrückt, weilen je im Hier und Jetzt, in der Wirklichkeit unserer Tage. Sie beschreiben keine Idylle, leugnen nicht die Widersprüchlichkeit der Erfahrungen, die Komplexität der gegenwärtigen Welt.

Ihr stilles Leuchten ist ganz hiesig. Wie die Kultbilder der fernöstlichen Lehren verweisen sie den Betrachter nicht auf eine weite Ferne, sondern deuten Möglichkeiten an, die in ihm liegen. Wolfgang Eberls Verdienst ist es, die Essenz einer solchen wachen Lebendigkeit in einer Unmittelbarkeit und Frische offenzulegen, die für den Betrachter (und auch für ihn selbst, wie er stets betont) etwas Beglückendes hat. Nichts davon ist ihm einfach so zugefallen. Und doch liegt alles gewissermaßen in der Natur der Sache, derer sich der Künstler mit der ihm eigenen Unbeirrtheit angenommen hat.

Philipp Haas